Auferstehung (Totenkopfschmetterling)

from Fiery Wings [EP] by Miel Noir

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lyrics

Es war einmal ein Tagesschmetterling; der lebte auf dem Liguster, welcher sehr unschuldig ist. Aber die Liguster gingen im Winter ein, und als die Puppen im Frühling barsten, gab es nichts zu essen. Da alle Schmetterlinge gewaltige Botaniker sind, und mit ihren sechs Füßen die natürlichen Familien erfühlen, suchten sie die Flieder auf, die dem Liguster nahe stehen. Aber eines Tages verflog sich ein Schmetterling in eine Gegend, in der es keine Flieder gab, und er legte seine Eier auf ein Kraut, das in der Farbe dem Flieder glich, aber nicht so gut roch. Und dann starb er.

Als der Frühling kam, krochen die Larven aus und aßen von dem kleinen Baum der Erkenntnis, den sie nicht kannten. Sie verpuppten sich, und Schmetterlinge schwärmten aus und um Belladonna herum, wo sie geboren waren. Aber siehe da, sie konnten nicht mehr den Schein der Sonne vertragen, denn das Atropin hatte ihre Augen so erweitert, daß sie nicht geschlossen werden konnten. Und darum schliefen sie am Tage und gingen nur nach Sonnenuntergang aus. So können die Nachtschmetterlinge entstanden sein.

Als aber der Ligusterschmetterling vom Stechapfel zu essen anfing, da wurde er schläfrig, schlief den Tag über, ging nachts aus, aber nur vor Mitternacht. Davon wurde er fett, und legte an Wachstum zu, ganz wie die Schweine, welche in Frankreich mit dem Samen des Stechapfels gemästet werden, welcher schläfrig macht. Aber als er den Liguster verließ, dessen Beeren einen Saft so lieblich rosenrot wie der Sonnenaufgang haben, verlor er seine rosenroten Bänder auf dem Unterleib und wurde häßlich wie ein Schläfer.

In seinem Liebesrausch und Giftschwindel fand er seine Giftpflanze nicht immer heraus, obwohl deren Blüte erst nach sieben Uhr abends duftet, die Blätter aber den ganzen Tag stinken, und in der Dunkelheit wurde er zu Kadaverplätzen geführt, Friedhöfen vielleicht, wo nur gebleichte Totenschädel seinen Weg erleuchteten, und dort legte er seine Eier. Die Larven aßen abwechselnd Aas und Solanin, und als sie sich verpuppen wollten, flohen sie das Licht und gruben sich ein Grab, denn sie hatten ja keine Ahnung von der Auferstehung.

Nachdem Obenstehendes geschrieben war, las ich bei Bernardin de St.-Pierre, daß der Totenkopfschmetterling auf Französisch „Haie“ genannt wird, auf Grund dessen, daß er diesen Laut hören läßt. Welcher Laut? Ai! Der Ausruf des Schmerzes bei allen Völkern:

Der Schrei, mit dem das Faultier über die Mühsal des Lebens klagt. Der Ausdruck des Verlusts, der Apollon nach dem Tode seines Freundes Hyacinthus entfuhr, und der in der Blume gezeichnet ist, die den Namen trägt. Aber es gibt eine andere Blume, die den Klageton im Boden des Honighauses gezeichnet trägt, und wir haben ihn alle gelesen, als Kinder, da wir kaum lesen konnten. Das ist der cyanblaue Rittersporn, welchen Ovidius, der ein konsequenter Transformist war, in der Erde hat sprießen lassen, auf die das Blut des Ajax geflossen ist. Blut und Cyan! Schlachtfeld, Kirchhöfe, Kadavergift und Totenkopf! Ai!

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Die Larve ist tot in der Puppe, aber sie lebt und sie aufersteht, nicht als eine zurückgegangene, niedrigere mineralische oder elementare Materie, sondern als eine höhere Form in Schönheit und Freiheit. Ist das nur ein poetisches Bild, was ist dann die Poesie wert?

Wo bekam der Schmetterling seine Augen auf die Flügel oder der andere seinen Totenkopf auf den Thorax? Unbedeutende Fragen gegenüber der großen, daß die Larve tot ist, physiologisch, anatomisch, vollkommen wissenschaftlich tot, und sie dennoch lebt!

(August Strindberg)

credits

from Fiery Wings [EP], released December 1, 2019
Music: Dimo Dimov
Arrangement: Marcel P.
Vocals: Gerhard Hallstatt (Allerseelen)
Lyrics: August Strindberg
Electronics, keyboards: Dimo Dimov

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Miel Noir started out as the solo-project of Dimo Dimov. Later Marcel P. joined the project.

Ever since, Miel Noir has undergone a radical expansion, turning it from an experimental 1-man-project into a full-blown band, covering a wide variety of styles.

The first album of Miel Noir as a band, HONEY & ASH, was released by Steinklang Industries in 2011
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